Es ist ein schöner, für finnische Verhältnisse geradezu milder Frühsommertag im Juni, als wir uns auf den Weg in die nordkarelische Wildnis zu Erä-Eero machen. Wir freuen uns auf ein ganz besonderes Abenteuer, das in dieser Form eine persönliche Premiere sein wird: Wildtierbeobachtung inmitten der finnischen Wälder und die Aussicht, allerlei Bewohner dieser ursprünglichen Landschaft endlich einmal direkt vor die Nase – oder Linse – zu bekommen.
Erä-Eero – seit vielen Jahren Spezialist auf seinem Terrain
Unsere Route führt uns von der unaufgeregten Kleinstadt Lieksa am Pielinen-See etwa 25 Kilometer südöstlich. Russland ist hier nicht mehr fern und die Wälder erscheinen noch dichter und undurchdringlicher als anderswo in Finnland. Der letzte Teil der Strecke wird auf einer passabel ausgebauten Schotterpiste zurückgelegt, die durch sumpfige Gebiete führt. Schließlich stehen wir vor Erä-Eeros Hauptquartier, das plötzlich zwischen den Bäumen auftaucht. Hier residiert er also, einer der renommiertesten Spezialisten für Wildtierbeobachtung und Fotografie in ganz Finnland.
Eine gewissenhafte Einweisung gehört dazu
Erä-Eero, der mit richtigem Namen Eero Kortelainen heißt, hat seinen Lebensmittelpunkt schon vor Jahren in die Wildnis Nordkareliens verlegt. Er liebt die Wälder, die Tiere, die Stille hier. Es ist 14 Uhr und wir betreten wie vereinbart das „Hauptquartier“ des finnischen Naturburschen. Hier erwarten uns neben Eero bereits seine Mitarbeiterin Heini sowie einige weitere Gäste, die für die Wildtierbeobachtung angereist sind. Darunter sind auch Naturfotograf Jari und seine Frau Kaisa, mit denen wir uns später noch nett unterhalten werden. Zunächst aber gibt es Instruktionen vom Chef persönlich – damit auch nichts schief geht, wenn wir auf der Lauer liegen.
Eero erklärt bei Kaffee und Süppchen zunächst, wie alles abläuft. Wir werden von ihm zu den Verschlägen begleitet, wo wir die nächsten 17 Stunden darauf warten werden, möglichst viele wilde Tiere zu erspähen. Immer wieder betont er, dass absolute Ruhe das oberste Gebot sei. Bewegt euch bloß nicht und verkneift euch im Zweifelsfall den Besuch auf dem – immerhin vorhandenen – Plumpsklo, schärft uns Eero ein. Schließlich könnte genau in diesem Moment ein Bär oder gar Wolf um die Ecke kommen, durch das unvermittelte Geräusch wieder verschreckt werden und die Flucht ergreifen. Wir werden noch mit einer Lunchbox ausgestattet, dann geht es zu unserer Unterkunft für die kommende Nacht.
Wer keine Geduld hat, erlernt sie hier
Wir verschließen die Tür und verstauen unsere Sachen in dem nur wenige Quadratmeter großen Holzverschlag so, dass anschließend möglichst nur noch wenige Bewegungen erforderlich sind. Der Verschlag ist nicht nur mit einem „stillen Örtchen“ ausgestattet, sondern es gibt auch eine Liege sowie eine Matratze, die für den Schlaf zwischendurch ausreichen müssen. Viel schlummern will hier heute ohnehin niemand – schließlich könnte uns gerade dann ein Highlight entgehen.
Es wird also Platz genommen und wir beobachten die im Sichtfeld befindliche Natur aus den Gucklöchern des Verschlages, die selbstverständlich mit Mückengittern versehen sind. So müssen wir hier zumindest keine Angriffe dieser kleinen Quälgeister fürchten. Es ist gerade mal gegen 15 Uhr, und nachdem Erä-Eero draußen die letzten Fleischköder verteilt hat, die unsere Fotomotive anlocken sollen, kehrt Stille ein im finnischen Wald. Absolute Stille.
Der Zeiger der Uhr scheint sich fortan in Zeitlupengeschwindigkeit zu bewegen. Bewegt er sich überhaupt noch? Die ersten Stunden tut sich nichts, außer ein paar Möwen, die sich über die Köder hermachen. Wie unglaublich lang doch so ein Tag sein kann, wenn man zum absoluten Ausharren gezwungen ist. Wer keine Geduld hat, der erlernt sie hier, denke ich mir.
Achtung, Vielfraß-Alarm!
Wir horchen in die Ruhe des Waldes hinein. Wer nichts sagen und sich nicht bewegen darf, registriert erst so richtig das leise Rauschen des Windes oder die entfernten Geräusche eines Kuckucks. Ob wir hier und heute überhaupt noch ein wildes Tier aus nächster Nähe zu Gesicht bekommen werden? Erste Zweifel machen sich breit. Doch dann geht alles ganz schnell.
Von rechts huscht er wie aus dem Nichts ins Blickfeld: Unser erstes lebendiges Motiv, ein durchaus agiler Vielfraß. Dieser Geselle lässt es sich nicht nehmen, die von Erä-Eero ausgelegten Fleischstücke in Augenschein zu nehmen. Und schon verschwinden sie in seinem Mäulchen und er dreht – wie wenn er von unseren fotografischen Absichten wüsste – ein paar Runden direkt vor unserem Verschlag.
Nachdem er noch einige Kunststückchen vollführt hat und unter anderem einen Baumstamm hoch und wieder hinab geklettert ist, verschwindet der Vielfraß, den ich im ersten Überschwang der Gefühle schon für einen kleinen Bären gehalten hatte, wieder im Dickicht. Die Eindrücke wirken nach. Jetzt ist die erste Lethargie wie weggeblasen und wir liegen gespannt auf der Lauer und starren ins satte Grün. Bestimmt war das erst der Anfang?
Eine lange Nacht im finnischen Wald
Die Stunden vergehen und es erweist sich als überaus hilfreich, dass zum Lunchpaket von Erä-Eero auch eine Kanne Kaffee gehört. Allmählich setzt die Dämmerung ein und es legt sich so etwas wie eine leichte Dunkelheit über den finnischen Wald. Richtig finster wird es hier um diese Jahreszeit überhaupt nicht. So langsam ereilt uns doch eine gewisse Müdigkeit. Aber was, wenn gerade jetzt ein Bär um die Ecke biegt?
Wir zwingen uns, noch ein wenig wach zu bleiben. Aber es geschieht weiterhin nichts und mittlerweile ist es zum Fotografieren dann doch zu düster. Also wird beschlossen, sich abwechselnd doch eine Mütze Schlaf zu genehmigen. Auf der schmalen Matratze ist es sogar den Umständen entsprechend komfortabler, als ich zunächst dachte. Dennoch falle ich in einen sehr unruhigen Schlaf, schrecke alle paar Minuten hoch und schaue wie instinktiv aus den Öffnungen des Verschlags. Doch außer ein paar Möwen ist nichts zu sehen.
Zum Abschluss noch ein bereits bekannter Besucher
Nach und nach wird es wieder heller. Um acht Uhr sind wir bei Erä-Eero zum Frühstück verabredet. Als schon alles darauf hindeutet, dass uns keine weiteren Waldbewohner mehr beehren werden, taucht doch noch ein bereits bekanntes Geschöpf auf. Erneut ist es ein Vielfraß, der in aller Ruhe seine Runden direkt vor unseren Augen dreht und sich bereitwillig in den verschiedensten Positionen ablichten lässt. Ob es der gleiche Kamerad ist wie am vorigen Abend? Wir werden es nie herausfinden. Kurz bevor es Zeit für uns wird, unsere Sachen zusammenzupacken, geht auch der Vielfraß wieder seines Weges.
Erkenntnisse aus 17 Stunden Wildtierbeobachtung
Es ist zunächst ein wenig merkwürdig, nach 17 Stunden absoluter Stille wieder reden und sich bewegen zu dürfen. Frisch gebrühter Kaffee und Roggenbrot schmecken jetzt besonders gut und auch die Konversationen mit Erä-Eero, Heini und den anderen Gästen sind eine willkommene Abwechslung. Leider hatten wir in dieser Nacht nicht das Glück, dem in dieser Gegend doch recht aktiven Bären zu begegnen. Auch der eher seltene und besonders scheue Wolf zeigte sich nicht.
Dafür durften wir gleich mehrfach das Schauspiel des niedlichen Vielfraßes beobachten und ihm beim Fressen und seinen Kletterübungen zuschauen. Das waren schöne und unvergessliche Momente, doch für mich persönlich war sogar eine andere Erfahrung wesentlich wertvoller, die ich in den 17 Stunden unserer Wildtierbeobachtung machen durfte. Die anfänglich geradezu lähmend wirkende Stille war eine hervorragende Gelegenheit, endlich mal komplett zur Ruhe zu kommen, sich auf sein Inneres zu konzentrieren und einfach nur den Geräuschen der Natur zu lauschen.
Insofern kann ich Dir einen solchen Aufenthalt bei Erä-Eero nicht nur ans Herz legen, wenn Du gerne wilde Tiere beobachten und fotografieren möchtest, sondern es ist auch eine fantastische Möglichkeit, die Hektik des Alltags hinter sich zu lassen und voll und ganz im jeweiligen Moment zu leben.
Im Rahmen der Wildtierbeobachtung bei Erä-Eero hast Du nicht nur die Chance, Vielfraße, Bären oder sogar Wölfe zu sehen, sondern in der Gegend gibt es auch jede Menge Vogelarten. Beobachtungsposten gibt es in verschiedenen Größen, insgesamt 18 Personen finden hier Platz. Umfangreiche Informationen zu Angeboten und Preisen findest Du auf der offiziellen Website, aktuelle Bilder und mehr bei Facebook. Wir wurden zu diesem Aufenthalt von Visit Karelia eingeladen.
Richtig viel Glück bei der Bärenbeobachtung hatten unsere lieben Kollegen vom Nordlandblog in Kuusamo. In ihrem umfangreichen Artikel erwarten Dich nicht nur spektakuläre Fotos, sondern auch super hilfreiche Tipps für die Wildtierfotografie.
Hei. Bin das erste Mal auf deinen Blog gekommen. Gratuliere, gefällt mir sehr gut. Habe mir einige Artikel angeschaut. Ich mag deine bildhafte Sprache. Hat Spass gemacht zu lesen.
Hallo Peter,
vielen Dank für Deine lieben Worte! Das freut mich natürlich sehr! 🙂
LG,
René