Jyrki Tsutsunen ist eines der Gesichter der aufstrebenden finnischen Gourmet-Szene. Der aus Porvoo stammende Starkoch ist ein durchaus rebellischer Vertreter seines Fachs. Schon von seiner Optik her scheint er so gar nicht in die Fine Dining-Schublade zu passen. Und um gängige Konventionen schert sich Jyrki auch bei der Essenszubereitung nicht. So war er einer der Pioniere, wenn es um Insekten wie etwa Ameisen auf dem Teller geht. Im Rahmen des Festivals „Kultur aus Finnland“ gastierte der Finne mit seinem Dinner-Erlebnis Metsänhenki – Waldgeist in der Alten Feuerwache Mannheim.
Ein kulinarischer Streifzug durch finnische Wälder
Hier erwartete die Besucher im ausverkauften und mit vielen kleinen Details geschmackvoll gestalteten Saal ein kulinarischer Streifzug durch die finnischen Wälder – ein einzigartiges 6-Gänge-Menü, akustisch untermalt von Original-Waldgeräuschen. Eines kann ich Dir schon mal verraten: Ameisen wurden an diesem Abend keine serviert. Dafür gab es aber einige andere, teils eher ungewöhnliche Köstlichkeiten. Und im Plausch mit dem Metsänhenki-Macher einige interessante Einblicke hinter die Kulissen des Konzepts, mit dem Jyrki inzwischen in mehreren verschiedenen Ländern zu Gast war.
Fermentierte Waldpflanzen, Brennnessel und Kiefer
Nach einem Begrüßungsgetränk nehmen die Gäste nach und nach Platz. Die Spannung steigt. Was heute Abend bei Metsänhenki wohl auf der Speisekarte stehen wird? Das auf den liebevoll dekorierten Tischen ausliegende Menü gibt Auskunft darüber. So dürfen wir uns auf fermentierte Waldpflanzen, Zitrone und Ziegenkäse als erste Vorspeise freuen. Und was sich zunächst einmal vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig liest, schmeckt tatsächlich richtig hervorragend.
Weiter geht es mit einer Kombination aus Lachs, Hecht, Kartoffel, Rauch, Dill und Eigelb – ein Mix aus ganz klassischen Bestandteilen der finnischen Küche. Ein wenig experimenteller hingegen gestaltet sich der nächste Gang: Brennnessel, Speck und Ei. Doch auch hier hat es Jyrki Tsutsunen geschafft, meinen Geschmacksnerv zu treffen. Und wenn ich mich umschaue und umhöre, geht es den anderen Gästen ähnlich. Ein Highlight des gesamten Menüs ist für mich auch das folgende Ensemble aus Trompetenpfifferling, Kiefer und Pastinake.
Metsänhenki – ein Mix aus Tradition und Revolution
Als Dessert werden schließlich Sanddorn und Möhre sowie zum krönenden Abschluss Preiselbeere und Fichte serviert. Auch hier zeigt sich das Besondere dieses Konzepts. Metsänhenki kombiniert auf gefühlvolle Art und Weise Bausteine der traditionellen finnischen Küche mit neuartigen, teils geradezu revolutionären Elementen. Die von DJ Bunuel und Tatu Rönkkö eingespielten Geräusche des Waldes liefern die optimal darauf abgestimmte akustische Hintergrundkulisse, so dass ich für einen Moment tatsächlich vergesse, dass wir uns gerade mitten in Mannheim befinden.
Standing Ovations und Sprechchöre
Die Finnen lassen es sich nicht nehmen, kurz vor dem Finale noch eine kleine Live-Show einzubauen – zur Begeisterung des ohnehin schon euphorisierten Publikums. Die Stimmung ist blendend im Saal. Doch was geschieht, nachdem Anu Koski von Visit Finland Jyrki und sein Team offiziell verabschiedet hat, damit hätte wohl niemand gerechnet. „Zugabe, Zugabe“ schallt es plötzlich durch den Raum, und „das war super, das war elegant“. Sprechchöre wie im Fußballstadion und Standing Ovations – so etwas haben selbst Starkoch Tsutsunen und seine Mitstreiter noch nicht erlebt.
Wie das Konzept Metsänhenki entstand
Nachdem sich die Atmosphäre wieder ein wenig beruhigt hat, bedanke ich mich bei Jyrki für den rundum gelungenen Abend. Wie das Konzept Metsänhenki eigentlich entstanden ist, möchte ich von ihm wissen. „Tatu Rönkkö trägt eigentlich Mitschuld daran!“, sagt der Mann hinter dem Dinner-Erlebnis. Tatu ist ein aus Helsinki stammender Drummer und Percussionist. Beide Männer trafen sich zufällig in Brüssel – wie könnte es anders sein? – im Rahmen eines Kochevents.
Kurze Zeit später besuchte Jyrki seinen neuen Bekannten in Berlin und sie zogen durch die Restaurants der Stadt. Schließlich erklärte Tatu, dass er aus Moos Klänge erzeugen könne. Daraufhin entgegnete Jyrki: „Okay, dann kann ich daraus auch Essen machen!“ Der Startschuss für Metsänhenki war gegeben. Beide überlegten, wie man die Klangwelten noch ausbauen könnte und so stieß schließlich noch der renommierte finnische DJ Bunuel dazu.
“Wir sind sehr zufrieden damit, wie es gerade ist“
In Finnland gab es bereits mehrere Metsänhenki-Veranstaltungen, auch in Spanien und Italien nahmen Jyrki und seine Partner ihre Gäste mit auf eine kulinarische Entdeckungstour durch den finnischen Wald. In Deutschland gastierten sie bislang unter anderem in Frankfurt am Main. Am liebsten möchte der für seine Leidenschaft brennende Koch, dass aus Metsänhenki gar keine so große Sache wird.
„Je größer etwas wird, desto größer ist auch die Gefahr, dass die Seele verloren geht. Wir sind sehr zufrieden damit, wie es gerade ist. Eher überlege ich, dass wir es sogar seltener machen sollten als bisher. Ich denke, wenn wir vier Dinner im Jahr durchführen können, sind wir sehr zufrieden“, sagt Tsutsunen.
Ein eigenes Restaurant möchte der Koch nicht
Der finnische Starkoch arbeitet derzeit neben Metsänhenki an verschiedenen Projekten wie zum Beispiel „Kulttuurikeittiö“, auf Deutsch „Kulturküche“. Im Rahmen dieser Veranstaltungen, die unter anderem schon in Russland, Schweden, Bulgarien und Deutschland durchgeführt wurden, sollen Kunst und Kulinarik miteinander verschmelzen.
Ein eigenes Restaurant hat Jyrki, der unter anderem auch in St. Petersburg im finnischen Generalkonsulat als Chefkoch gearbeitet hat, nicht. Und das möchte er auch gar nicht. „Ich finde es toll, zum Beispiel eine Woche zu arbeiten und dann eine Woche im Wald verbringen zu können“, erzählt er mir. Einen Großteil der Zutaten für seine Gerichte sammelt der Finne selbst in den finnischen Wäldern. Während etwa 70 Prozent seiner Arbeitszeit durchstreift er die Wälder, 20 Prozent überlegt er, was sich daraus zaubern lässt und lediglich etwa zehn Prozent sind für die letztendliche Umsetzung des Ganzen eingeplant.
Die Ruhe des Waldes als Erfolgsrezept?
Gerade die Ruhe des Waldes und der Natur ist es, welche die Menschen in Mitteleuropa vermutlich an Metsänhenki fasziniert, vermutet Jyrki. „Du schaust Dir die Baumkronen an, wie sie sich langsam im Wind bewegen und überlegst Dir, dass es doch eigentlich überhaupt keinen Grund für Stress und Hektik gibt“, schwärmt er. Das Jedermannsrecht in Finnland, das jedem das Sammeln von Pilzen oder Beeren im Wald erlaubt, betont Tsutsunen als einen der größten Vorzüge seiner Heimat.
Beeindruckt hat ihn der geradezu frenetische Applaus in Mannheim. Und er ist sich sicher, wieder zurückzukommen – dann vielleicht mit einem anderen Konzept. Den Küchenchef der Alten Feuerwache hat er bereits nach Finnland eingeladen: „Komm doch mal nach Porvoo, dann gehen wir zusammen in den Wald“. Doch was ist eigentlich das Lieblingsgericht eines Mannes, der es liebt, mit Lebensmitteln zu experimentieren und jenseits der üblichen Konventionen neue Geschmackswelten zu kreieren? „Das ist die ganz traditionelle finnische Fischsuppe“, antwortet Jyrki mit einem Lächeln auf den Lippen. Ein sympathischer Zeitgenosse, der eben immer wieder zu überraschen weiß.
Vielen Dank an das Finnland-Institut in Deutschland, das das „Kultur aus Finnland“-Festival im Rhein-Neckar-Delta organisiert hat, und Anu Koski von Visit Finland sowie Petra Maier Public Relations für die Einladung zu Metsänhenki. Folge Jyrki Tsutsunen auf Instagram, um über mögliche zukünftige Dinner-Events auf dem Laufenden zu bleiben.