Deutschlands finnischster Krimiautor – Interview mit Jan Costin Wagner

Autor Jan Costin Wagner im Interview

Als großer Fan finnischer Krimis interessieren mich nicht nur die Bücher selbst, sondern auch die Menschen, aus deren Feder all die spannenden Geschichten stammen. Neben finnischen Autoren wie Taavi Soininvaara oder Leena Lehtolainen gibt es einen Deutschen, der uns in seinen Krimis nach Finnland entführt: Jan Costin Wagner. Seine Romanfigur Kimmo Joentaa habe ich Dir in meinem Artikel über finnische Krimis schon vorgestellt. Heute erfährst Du interessante Hintergründe über den Autor.

“Trost und Hoffnung sind die eigentlichen Kernmotive“

„Warum in die Ferne schweifen“, dachte ich mir. Denn Jan Costin Wagner, Deutschlands finnischster Krimiautor, wohnt fast um die Ecke, ebenfalls im Rhein-Main-Gebiet. So kam mir die Idee, ihn zum Interview einzuladen. Zum Neujahr trafen wir uns auf einen Kaffee und sprachen in entspannter Runde über sein Leben als Autor, die Kimmo Joentaa-Krimis im Speziellen und seine Beziehung zu Finnland.

Kimmo Joentaa Bücher

Rund um Kommissar Kimmo Joentaa sind schon einige Bücher erschienen

“Ich möchte mich immer mit Fragen auseinandersetzen, die uns alle betreffen“

FinnTouch: Wann kommen Ihnen die besten Ideen?

Jan Costin Wagner: Sobald ich den letzten Satz eines Romans geschrieben habe, dauert es erfahrungsgemäß immer ziemlich lange, bis ich wieder zu schreiben beginne. Es sind dann Ideen, Impulse, Emotionen, die sich langsam zu einer Art Erzählkern verdichten. Irgendwann fühle ich mich auf sicherem Boden, das heißt, ich habe dieses Grundgefühl, etwas Bestimmtes unbedingt erzählen und mit dem Leser teilen zu wollen. Das ist der Moment, in dem ich dann wieder zu schreiben beginne.

FinnTouch: Wie ist der Schreibprozess? Wie lange dauert es von der ersten Idee bis zur letzten Änderung?

Jan Costin Wagner: Aus der bisherigen Erfahrung heraus: Etwa zwei bis drei Jahre.

FinnTouch: Was machen Sie, außer zu schreiben und zu musizieren?

Jan Costin Wagner: Zeit mit meiner Familie und mit Freunden verbringen, lesen, Musik hören, Tennis spielen und einiges mehr …

FinnTouch: Was wäre Plan B gewesen, wenn es als Autor nicht geklappt hätte?

Jan Costin Wagner: Ich hatte ursprünglich angedacht, auch als Journalist zu arbeiten. Als sich die Möglichkeit ergab, den Fokus ausschließlich auf das Schreiben von Romanen zu legen, habe ich sie gerne ergriffen. Diese Art des Ausdrucks ist mir sehr nah, sie entspricht mir, ebenso wie das Komponieren von Musik.

“Wenn ich schreibe, dann begleitet mich immer die Sehnsucht, das Leben mit dem Tod auszusöhnen“

FinnTouch: Sie sagten, ihr Antrieb sei es, „Menschen in extremst mögliche Situationen zu bringen, um dann eine Sprache für ihre Versuche der Bewältigung zu finden.“ Schreiben Sie auch für sich? Und bekommen Sie von Lesern zu hören, dass Sie ihnen geholfen haben?

Jan Costin Wagner: Ich schreibe immer zugleich für mich und für alle diejenigen, die diesen Weg, den ich während des Schreibens beschreite, in der Lektüre gemeinsam mit mir gehen möchten. Ich möchte mich immer mit Fragen auseinandersetzen, die uns alle betreffen, egal, wie unterschiedlich wir sein mögen. Tatsächlich habe ich bei Lesungen manchmal Begegnungen mit Menschen, die im gelebten Leben Menschen verloren haben und mir sagen, dass Ihnen der Romanheld Kimmo in ihrer eigenen Trauer nah ist und vielleicht sogar in gewisser Weise beistehen kann. Das empfinde ich als etwas Schönes.

FinnTouch: Warum spielt das Leben mit dem Tod eine wichtige Rolle?

Jan Costin Wagner: Weil es eigentlich die grundlegendste Frage unseres Lebens ist. Auch wenn wir das natürlich in den meisten Phasen dieses Lebens nicht wahrnehmen oder vielleicht auch nicht wahrhaben wollen. Wenn ich schreibe, dann begleitet mich immer die Sehnsucht, das Leben mit dem Tod auszusöhnen. Oder den Tod mit dem Leben. Trost und Hoffnung sind die eigentlichen Kernmotive, auch wenn die Romane auf den ersten Blick tragische Geschichten erzählen.

“Als ich den ersten Roman „Eismond“ fast beendet hatte, wurde mir bewusst, dass die Romanfigur Kimmo mich weiter begleiten wird.“

FinnTouch: Kimmo kann nicht so gut reden, aber zuhören. Wie viel Kimmo steckt in Ihnen?

Jan Costin Wagner: Ich hoffe, möglichst vieles oder zumindest einiges, denn ich mag ihn.

FinnTouch: Ursprünglich war Kimmo nicht als Serienfigur geplant, warum wurde er es dennoch?

Jan Costin Wagner: Als ich den ersten Roman „Eismond“ fast beendet hatte, wurde mir bewusst, dass die Romanfigur Kimmo mich weiter begleiten wird. Das Buch beginnt ja mit dem Tod von Kimmos Frau Sanna, de an Krebs stirbt. Letztlich sind die Romane auch eine lange Erzählung darüber, wie Kimmo sich von diesem Moment an entwickelt, wie er aus dem Verlust heraus die Kraft findet, für andere Menschen da zu sein.

FinnTouch: Er lässt Larissa Freiheiten, lässt sie zwanglos bei ihm leben. Passt es ihm ganz gut, dass sie oft unsichtbar ist? Hofft er, dass er manchmal „vergisst“, dass es nur Larissa und nicht Sanna ist?

Jan Costin Wagner: Ich denke, dass Kimmo sowohl Sanna als auch Larissa im Herzen trägt. Diese vorbehaltlose Herzenswärme und seine Bereitschaft, jenseits der Konvention zu leben, ist letztlich das Fundament der eher ungewöhnlichen Liebesbindung.

Autogramm Jan Costin Wagner

2014 traf ich Jan Costin Wagner zum ersten Mal, bei einer Lesung

Es scheint, als hole die Realität plötzlich die Fiktion ein

FinnTouch: In „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ schreiben Sie: „Auf dem Marktplatz der finnischen Stadt Turku steigt ein junger Mann in einen Brunnen. Er ist nackt und offenbar verwirrt. Und er hat ein Messer bei sich.“ Diese Passage erinnert erschreckend an das Turku- Attentat. Hat die Realität hier Ihre Fiktion eingeholt?

Jan Costin Wagner: Ja, den Gedanken kann man haben. Allerdings sind die Fälle ganz unterschiedlich gelagert, im Roman geht von Sakari eben gerade keine Bedrohung aus. Aber in einer Zeit wie der unseren, die geprägt ist von diffusen Ängsten und scharfkantigen Kategorisierungen, wird er als Bedrohung wahrgenommen.

FinnTouch: Wird es mit Kimmo weitergehen?

Jan Costin Wagner: Das hoffe ich. Ich weiß noch nicht, wann wir uns wieder begegnen werden, aber in jedem Fall freue ich mich darauf.

FinnTouch: Ist es möglich, dass es mal eine weitere Serie von Ihnen zu lesen gibt?

Jan Costin Wagner: Ja, sicher. Oder eben auch für sich stehende Romane oder Erzählungen wie den Band „Sonnenspiegelung“, der zwischen den beiden jüngsten Kimmo-Romanen erschien.

Finnland ist also zugleich Sehnsuchtsort und Heimat geworden“

FinnTouch: Finnland in drei Worten:

Jan Costin Wagner: Blau, hell, Herz.

FinnTouch: Wofür lieben Sie Finnland?

Jan Costin Wagner: Als ich vor 26 Jahren zum ersten Mal nach Finnland reiste, damals mit dem Zug und der Fähre, hatte ich einen sehr guten Grund. Ich wollte meine heutige Frau wiedersehen, die ich kurz zuvor in Frankreich kennengelernt hatte. Dieses Grundgefühl der ersten Reise ist immer geblieben, Finnland ist also zugleich Sehnsuchtsort und Heimat geworden.

FinnTouch: Wofür hassen Sie Finnland?

Jan Costin Wagner: Vielleicht dafür, dass sie sich nicht endlich mal für eine EM- oder WM-Endrunde qualifizieren. Als Fan der finnischen Fußballmannschaft habe ich es ab und zu ziemlich schwer.

FinnTouch: Mögen Sie den Sommer oder den Winter lieber?

Jan Costin Wagner: Beide. Wobei ich grundsätzlich den Sommer ein wenig dem Winter vorziehe, egal an welchem Ort.

FinnTouch: Ostsee oder See?

Jan Costin Wagner: Beide.

Jan Costin Wagner im Interview

Tanja und René von FinnTouch im Gespräch mit Jan Costin Wagner

FinnTouch: Was essen Sie dort am liebsten?

Jan Costin Wagner: Karelische Piroggen mit Eibutter.

FinnTouch: Was ist Ihr Lieblingsort?

Jan Costin Wagner: Einige. Turku, wo wir lange gelebt habe. Und spontan denke ich auch an eine Fähranlegestelle bei Angelniemi. Dort ist auch eine kleine Kneipe am Wasser, in die wir gerne gehen, wenn wir in Finnland sind.

FinnTouch: Was ist einer Ihrer Lieblingssongs einer finnischen Band?

Jan Costin Wagner: Vor etwa 25 Jahren bekam ich meine erste finnische Platte, vom Songwriter Edu Kettunen. Sehr ruhige Musik, hat mir gefallen.

„Ich denke, dass wir uns grundsätzlich vor allem menschlich fühlen“

FinnTouch: Wieso haben Sie sich damals entschieden, mit Niina in Deutschland zu wohnen?

Jan Costin Wagner: Das hat sich einfach so ergeben. Wir waren während unseres Studiums immer etwa zur Hälfte in Deutschland, zur Hälfte in Finnland. Jetzt geht Venla hier in die Schule.

FinnTouch: Wie finnisch fühlt sich Venla, wie deutsch Niina? (Anm.: Tochter und Frau)

Jan Costin Wagner: Ich weiß nicht genau. Ich denke, dass wir uns grundsätzlich vor allem menschlich fühlen, also nicht über Staatsangehörigkeiten definieren.

FinnTouch: Wie gut ist Ihr Finnisch?

Jan Costin Wagner: Ich spreche ein wenig finnisch und verstehe wohl auch ganz gut. Immerhin verstehe ich das meiste von dem, was Niina und Venla sprechen, Venla wächst zweisprachig auf.

Romane von Jan Costin Wagner

Neben den Joentaa-Krimis veröffentlicht Jan Costin Wagner regelmäßig auch andere Romane

„Wir haben eine ganze Menge aus finnischer Herstellung im Haushalt“

FinnTouch: Wie finnfiziert ist ihr Zuhause? Hängen etwa Marimekko-Gardinen am Fenster oder trinken Sie aus Aino Aalto-Gläsern?

Jan Costin Wagner: Es ist vermutlich nicht so auffällig, aber wir haben eine ganze Menge aus finnischer Herstellung im Haushalt, das ist schön.

FinnTouch: Wie erklären Sie sich, dass es im deutschen Fernsehen so viele Krimiserien aus Dänemark und Schweden gibt, aber nicht aus Finnland?

Jan Costin Wagner: Ja, das ist interessant. In Schweden und Dänemark hat sich eine Stilistik herausgebildet, die immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Die Finnen sind offenbar heterogener, individueller beim Erzählen ihrer Geschichten, deshalb bildet sich nicht DER finnische Kriminalroman oder DIE finnische TV-Serie heraus. Ich finde das eigentlich gut. Am Ende geht es mir, unabhängig von Trends und Kategorisierungen, immer um die Frage, ob eine Geschichte etwas ganz Eigenes, Bleibendes in sich trägt und ob sie mich über die Lektüre hinaus begleiten wird.

Ganz herzlichen Dank an Jan Costin Wagner für diesen tollen Blick hinter die Kulissen. Wir sind gespannt, was wir noch alles zu lesen bekommen werden.

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