Ist der finnische Fußball am Ende?

Der finnische Fußball war noch nie dafür bekannt, besonders attraktiv oder gar erfolgreich zu sein. Die Liste an Blamagen, aber auch knappen und deswegen besonders schmerzlichen Niederlagen ist nahezu unendlich lang. Und dennoch wurde von den Verantwortlichen lange Jahre immer wieder die Marschroute ausgegeben, dass es voran gehen und eine Entwicklung stattfinden soll. Nach den Ereignissen der letzten Monate und Wochen muss ich feststellen: Ja, eine Entwicklung hat hier stattgefunden. Diese geht jedoch keineswegs in eine positive Richtung. Daher gehe ich so weit und stelle die bewusst provokante Frage: Ist der finnische Fußball am Ende?

Der größte Skandal aller Zeiten

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe, als am 18. November 2016 bekannt wurde, dass Roman Eremenko bei einer Dopingkontrolle Rückstände von Kokain nachgewiesen worden waren. Der Mittelfeldspieler von ZSKA Moskau galt – durchaus im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Alexei – stets als Vorzeigeprofi. Nun wurde der für viele Experten technisch mit Abstand beste finnische Fußballer für zwei Jahre komplett gesperrt. Das ist auch für die Nationalmannschaft ein herber Schlag. Ist der finnische Fußball am Ende?

Katastrophale Entwicklung der Nationalmannschaft

Jene Nationalelf, welcher derzeit eine klare Spielidee, selbstbewusste Akteure und sicherlich auch das nötige Quäntchen Glück fehlen, steht in ihrer WM-Qualifikationsgruppe ohnehin schon miserabel da. Gerade einmal ein Punkt gegen Neuling Kosovo nach den ersten vier Spielen – das ist eine schlechtere Ausbeute als solche Fußballgroßmächte wie Estland, Zypern, Litauen, Kasachstan oder die Färöer. Im kompletten Jahr 2016 gelang den „Huuhkajat“, wie das Team seit einigen Jahren in Anspielung auf den Besuch eines Uhus während einem Spiel im Olympiastadion genannt wird, kein einziger Sieg. Zwar wurden die meisten Spiele nur knapp verloren, aber sie wurden eben verloren. Und die Auftritte waren von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen geprägt von erschreckender Hilf- und Konzeptlosigkeit. Ist der finnische Fußball am Ende?

Au Backe – sitzen die Probleme nicht tiefer?

Einer der wenigen Lichtblicke in der finnischen Nationalmannschaft dieser Tage ist – neben Keeper Lukas Hradecky von Eintracht Frankfurt – Paulus Arajuuri, der Bruder von Sänger Niila. Nicht wenige möchten den Kämpfer dauerhaft als Kapitän der „Huuhkajat“ sehen. Doch reichen Kampfkraft und Willen alleine aus, um international etwas zu erreichen? Zumindest gibt es immer wieder positive Beispiele wie etwa die Isländer, die mit Zusammenhalt und Selbstbewusstsein uns alle bei der EM verzückten.

Die finnische Nationalmannschaft unter dem schwedischen Trainer Hans Backe wirkt jedoch zutiefst verunsichert, traut sich kaum etwas zu und man hat den Eindruck, dass auch der Coach den Spielern nichts zutraut. Ist das Problem also gelöst, indem Hans Backe entlassen wird? Eine solche Entscheidung könnte zumindest einen positiven Impuls geben – schlimmer geht es ohnehin kaum mehr. Aber sitzen die Probleme nicht in Wirklichkeit noch viel tiefer? Die Strukturen des finnischen Fußballverbandes SPL (Suomen Palloliitto) sind kompliziert und veraltet, es fehlt eine klare Linie und als jemand, der den finnischen Fußball seit vielen Jahren intensiv mitverfolgt, frage ich mich: Wo ist hier eigentlich die viel beschworene finnische Sisu? Ist der finnische Fußball am Ende?

Das altehrwürdige Olympiastadion in Helsinki ist auch in die Jahre gekommen und wird komplett renoviert.

Das altehrwürdige Olympiastadion in Helsinki ist auch in die Jahre gekommen und wird komplett renoviert.

Die Vereine der Veikkausliiga haben kein Geld

Was für die Nationalmannschaft gilt, kann für die Eliteklasse des finnischen Fußballs größtenteils übernommen werden. Selbst im eigenen Land interessieren sich die meisten leider kaum für die Veikkausliiga. Was nicht heißt, dass die Finnen sich nicht für Fußball interessieren würden. Doch statt zu den lokalen Clubs zu gehen und diese zu supporten, schauen sich die meisten lieber die englische Liga im TV an. Offizielle Zuschauerstatistiken gibt es auf Veikkausliiga.com nur bis zur Saison 2014. Seitdem ging es bei einigen Clubs zumindest nach oben, bei anderen stagnierte die Entwicklung eher.

So kickte der finnische Fußballmeister 2016, IFK Mariehamn, auf dem Weg zu seinem Triumph gerade einmal vor durchschnittlich 1514 Stadionbesuchern – wobei hier auch die niedrige Einwohnerzahl der Aland-Inseln zu berücksichtigen ist. Absteiger PK-35 Vantaa aus Helsinkis über 200.000 Einwohner zählenden Vorstadt lockte sogar nur 1229 Besucher pro Spiel an. Der Ligadurchschnitt lag 2016 bei 2551 Zuschauern. In Deutschland hat da manch ein Viertligist eine größere Anhängerschar.

Unter diesen Umständen erscheint es fast wie eine logische Konsequenz, dass auch die Wirtschaft den finnischen Fußball eher meidet. Finanzielle Probleme sind in der Veikkausliiga an der Tagesordnung, Vereinspleiten ebenfalls. So erwischte es unter anderem den langjährigen Europapokalteilnehmer MyPa aus Kouvola – ein typischer Dorfclub, dessen Hauptsponsor aus dem Bereich der Papierindustrie sich im Zuge eigener Schwierigkeiten zurückgezogen hatte. Wer als Spieler einigermaßen etwas drauf hat, versucht schon im Jugendalter ins Ausland zu kommen. Ist der finnische Fußball am Ende?

Neue Stadien als Zeichen eines Aufbruchs?

Trotz all dieser Missstände und schier unüberwindbar erscheinenden Probleme gibt es auch ein paar kleine, aber sichtbare Hoffnungsschimmer am Horizont. Vor allem in der Provinz Pohjanmaa tut sich etwas. So haben hier innerhalb kürzester Zeit die beiden Erstligisten VPS aus Vaasa und SJK aus Seinäjoki jeweils ein modernes Stadion bekommen. Insbesondere das komplett neu erbaute, 5817 Zuschauer fassende OmaSp Stadion in Seinäjoki ist ein richtiges Schmuckkästchen und von seinen Dimensionen her genau richtig für die finnische Liga.

Die Zuschauerzahlen der Saison 2016 zeigen, dass ein neues Stadion durchaus für Interesse seitens der Bevölkerung sorgen kann. So dümpelten sowohl SJK als auch VPS in der Saison 2014 noch zwischen 2200 und 2300 Zuschauern im Durchschnitt vor sich hin. 2016 betrug der Schnitt immerhin schon 3103 bei SJK und 2935 bei VPS. Für deutsche Verhältnisse sind das immer noch sehr geringe Zahlen, aber der Anstieg ist beträchtlich. Eine schicke neue Haupttribüne, die alleine 2000 Menschen Platz bietet, wurde 2015 auch in Rovaniemi am Polarkreis eingeweiht. Hier teilen sich die Nummer 1 der Stadt, Traditionsverein RoPS, sowie der „offizielle Fußballclub des Weihnachtsmanns“, der FC Santa Claus Arctic Circle, das Spielfeld. Ist der finnische Fußball doch noch nicht ganz am Ende?

Das Sonera Stadion war die erste moderne Fußballarena Finnlands. Hier treffen sich HIFK und HJK Helsinki zum spannungsgeladenen Derby.

Das Sonera Stadion war die erste moderne Fußballarena Finnlands. Hier treffen sich HIFK und HJK Helsinki zum spannungsgeladenen Derby.

„Stadin Derby“ als Zugpferd – die Fußballkultur zeigt zartes Wachstum

Nach dem Aufstieg des alten Traditionsvereins HIFK zur Veikkausliiga Saison 2015 gibt es in Helsinki endlich mal wieder eine echte Rivalität auf erstklassigem Terrain. Mit eher mäßigem Erfolg hatten sich Clubs wie Ponnistus, FinnPa oder FC Jokerit in den vergangenen Jahrzehnten daran versucht, dem schier übermächtig erscheinenden Rekordmeister HJK Helsinki ein Bein zu stellen. Sie alle sind früher oder später wieder in der Versenkung verschwunden – und wurden von den HJK-Fans auch nie als echter Gegner wahrgenommen.

Anders sieht dies bei HIFK aus. Dieser stolze Club, im Jahre 1897 gegründet – die Fußballabteilung kam zehn Jahre später hinzu – und siebenmaliger finnischer Meister, hatte Jahrzehnte lang im Dornröschenschlaf gelegen. Ganze 42 Jahre spielte HIFK nicht erstklassig. Dennoch hielten die für finnische Verhältnisse geradezu fanatischen Fans, an der Spitze die Gruppierung „Stadin Kingit“, ihrem Verein die Treue und zogen mit viel Lärm über die Dorfplätze Finnlands.

Seit 2015 sind sie nun also wieder da, wo sie sich immer gesehen haben: in der erstklassigen Veikkausliiga. Seitdem sorgten alle bisherigen Helsinki Derbys, in der Stadt nur als „Stadin Derby“ bekannt, für ein volles Haus im 10.770 Zuschauer fassenden Sonera Stadion. Es gab Fanmärsche, Choreos und lautstarke Gesänge – im finnischen Fußball auch heute noch nicht gerade eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn es in vielerlei Hinsicht schwer ist und leider auch negative Auswüchse wie Ausschreitungen hinzugekommen sind, die finnische Fußballkultur zeigt zumindest ein starkes Wachstum. Geht es mit dem finnischen Fußball gar doch noch einmal aufwärts?

Finnische Sisu ist gefragt

Indem sich die Menschen endlich mehr für die eigenen Vereine interessieren, und sei es erst einmal nur eher punktuell im Rahmen solcher Derbys, wird zumindest eine Grundlage geschaffen für einen Fußball, der von der Gesellschaft mehr wahrgenommen wird. Ein gesteigertes Interesse der Wirtschaft an den Vereinen und damit auch eine bessere Ausbildung der Jugend könnten die Folge sein. Nicht zuletzt würde eine größere Begeisterung für den Fußball in der Konsequenz wohl auch mehr aktive Spieler zu Tage bringen.

Auch wenn die Lage aktuell geradezu aussichtslos erscheint – finnische Sisu ist gefragt! Und endlich einmal ein klares Konzept auch für die Nationalmannschaft. Denn eines ist Fakt: So schmerzlich der Verlust eines Ausnahmekönners wie Roman Eremenko für eine kleine Fußballnation auch sein mag, Fußball ist am Ende des Tages ein Mannschaftssport. Warum sollte Finnland nicht eines Tages auf den Spuren Islands wandeln und für positive Überraschungen sorgen? Die Verantwortlichen und Spieler müssen einfach nur endlich einmal beginnen, an sich zu glauben. Dann bin ich fest davon überzeugt, dass ich eines schönen Tages noch Finnland bei einer Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft anfeuern werde. Denn der finnische Fußball ist noch lange nicht am Ende!

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