[Gastbeitrag von Katharina Pauli-Schulte] Heute möchte ich Dich mitnehmen zu einer meiner liebsten und ältesten Freundinnen, Anne Nurmi. Wir kennen uns jetzt schon unglaubliche 19 Jahre (wie die Zeit vergeht!), und doch möchte ich keinen Tag missen, denn sie ist wirklich einer der tollsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Anne ist Sängerin und Keyboarderin der deutschsprachigen, in der Schweiz beheimateten Band Lacrimosa. Aber was kaum jemand weiß: Anne ist eigentlich Finnin. Umso glücklicher bin ich, Dir Anne jetzt ein wenig vorzustellen.
Seit 1994 ein Teil der Band Lacrimosa
Die Gruppe existiert seit 1990, und seit 1994 ist Anne mit dabei. Sie hat damals mit ihrer finnischen Band „Two Witches“ auf einer Tour von Lacrimosa als Vorband gespielt. Tilo Wolff, der Kopf von Lacrimosa, war damals schon seit längerem auf der Suche nach einer Sängerin. Und er war so fasziniert von Annes Stimme, dass er sie daraufhin gleich fragte, ob sie nicht Lust hätte, in seiner Band zu singen. Sie stimmte zu. Mit dem Eintritt in die Band erfolgte kurze Zeit später auch Annes Umzug von Tampere/Finnland nach Bern in die Schweiz, wo sie bis heute glücklich lebt. Aber wie ist es eigentlich so, als Finnin in der Schweiz zu leben – und vermisst man Finnland nicht doch irgendwann? Genau das – und noch einiges mehr – habe ich sie im Rahmen der letzten Lacrimosa Tour für Dich gefragt.
FinnTouch: Hei Anne! Schön, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast! Du stammst ja aus dem finnischen Tampere. Erzähl doch mal, wie es für Dich war, in Finnland aufzuwachsen?
Anne (Lacrimosa): Ich bin sehr behütet aufgewachsen, umhüllt mit Liebe von den Eltern und umgeben von der schönen finnischen Natur. Im Winter habe ich viel Wintersport betrieben wie alle: früher Schlitten fahren, dann Skilanglauf und Eislaufen, im Sommer bin ich mit dem Fahrrad fast jeden Tag zum See zum Schwimmen gefahren und so ist meine Kindheit auch mit der Natur sehr verwurzelt. Ansonsten war es sehr ruhig in Finnland aufzuwachsen, ja teils auch etwas zu ruhig, was einem dann später zum Musik machen animiert hat.
FinnTouch: Ist es Dir schwer gefallen wegzugehen? Hast Du es jemals bereut?
Anne (Lacrimosa): Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch und daher hätte ich es mir nie verziehen, wenn ich es nicht zumindest ausprobiert hätte, woanders zu wohnen. Und so habe ich es gewagt, mich ins Ungewisse zu stürzen, aber bereut habe ich es nie. Ich bin in der Schweiz sehr glücklich.
„Mit fehlt das leckere finnische Essen“
FinnTouch: Gibt es etwas, das Du an Finnland vermisst?
Anne (Lacrimosa): Meine Eltern sehe ich leider nicht so oft, was mir manchmal Kummer bereitet, und ansonsten fehlt mir das leckere Essen, wobei ich ganz liebe Freunde habe, die zu Konzerten kommen und mir auch mal Leckereien aus Finnland mitbringen! Hier und da fehlen mir die Stille auch und im Sommer die endlosen, hellen Nächte!
FinnTouch: Erstaunt Dich noch heute etwas im Alltag in der Schweiz?
Anne (Lacrimosa): Ich habe mich zum Glück ganz gut integrieren können und finde, es lebt sich hier wunderbar. Natürlich gibt es ein paar lustige Traditionen, die ich erst hier kennengelernt habe, sowie ein paar Sportarten, die einen erstaunen, zum Beispiel Hornussen. Die meisten Menschen sind sehr freundlich und solide und als Freunde sehr treu und in allen Lagen vertrauenswürdig.
FinnTouch: Was würdest Du als typisch Finnisch bezeichnen?
Anne (Lacrimosa): Falls jemand den Ausdruck kennt “suomalainen sisu”, den finde ich total passend. Ich versuche es zu beschreiben: wenn wir etwas anpacken, kann es egal wie unmöglich erscheinen, wir machen es, und meistens findet sich dann eine Lösung für alles. Also ausprobieren und einfach machen und nicht lange rumeiern. Dann sind wir ein Volk, welches es gerne etwas übertreibt, sei es mit Sauna, Kaffee und vielleicht auch Alkohol trinken, aber das kann man nicht verallgemeinern.
FinnTouch: Gibt es ein finnisches Gericht, das jeder mal probiert haben sollte?
Anne (Lacrimosa): Poronkäristys (Rentiergeschnetzeltes mit Kartoffelbrei), Karjalanpiirakat (Karelische Piroggen), Musta Makkara (Schwarze Wurst), Hernekeitto (Erbsensuppe)…
„Arto Paasilinna ist ein absolut herrlicher Autor“
FinnTouch: Hast Du einen finnischen Lieblingsautor/Buch und einen Film?
Anne (Lacrimosa): Arto Paasilinna ist ein absolut herrlicher Autor und die Kaurismäki-Filme kann man natürlich immer schauen.
FinnTouch: Glaubst Du, man kann Finnland durch die finnische Literatur kennenlernen?
Anne (Lacrimosa): Ja, das kann man ganz gut, da die Autoren unverblümt so sind, wie sie sind und viel über den finnischen Alltag Preis geben.
FinnTouch: Wo habt ihr früher in Finnland Urlaub gemacht und wo ist es Deiner Meinung nach am schönsten in Finnland?
Anne (Lacrimosa): Ich habe es immer am schönsten gefunden an egal welchem See, Hauptsache man hat ein Mökki und gute Freunde und Familie. Das Saimaa-Seengebiet hat eine Menge zu bieten. Aber einer von den anderen 187.887 Seen tut es auch. Dann war ich sehr viel auf dem Land auf einem Bauernhof.
FinnTouch: Wenn Du jetzt für einen Tag Präsidentin Finnlands sein könntest, was würdest Du ändern?
Anne (Lacrimosa): Ich würde die Traditionen versuchen zu bewahren, dass Finnland nicht noch mehr von anderen Ländern abguckt, sondern das Gute bewahrt und weitervererbt. Das könnte man als Fach in der Schule gerne unterrichten. Das finde ich in der Schweiz so gut, dass die Traditionen weitergereicht werden.
FinnTouch: Was ist Deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen den Finnen und dem Rest der Welt?
Anne (Lacrimosa): Finnen sind ziemlich schüchtern, verschlossen und stur und der Rest der Welt ist etwas offener. Aber es ändert sich auch langsam.
„Drei Mal in der Woche Sauna ist Maximum“
FinnTouch: Was sagst Du zu den typischen Klischees über Finnland und die Finnen – bitte immer kurz antworten: Ihr geht alle jeden Tag in die Sauna…
Anne (Lacrimosa): Drei Mal in der Woche ist Maximum!
FinnTouch: Ihr setzt euch im Bus nicht neben jemand Fremdes, außer es geht nicht anders…
Anne (Lacrimosa): Stimmt voll. Also zumindest, als ich noch da gewohnt habe.
FinnTouch: Ihr seid immer betrunken…
Anne (Lacrimosa): Nöööö, es gibt auch trockene Tage.
FinnTouch: Ihr esst gerne Mämmi und Lakritz (Salmiakki)…
Anne (Lacrimosa): Aber klar doch, ich mache alle wahnsinnig mit meiner Lakritzliebe.
FinnTouch: Und vor allem sind ja alle Finnen depressiv…
Anne (Lacrimosa): Ja, es gibt auch solche, und die restlichen suchen den Ausgleich und machen Musik.
FinnTouch: Jeder Finne trinkt Unmengen an Kaffee…
Anne (Lacrimosa): Stimmt. Daher schlafen wir auch nicht…
FinnTouch: Es gibt keinen Finnen, der kein Mökki hat…
Anne (Lacrimosa): Nicht jeder kann es sich leisten, also teilt man manchmal auch eins.
FinnTouch: Ist es für Dich eigentlich überraschend und freust Du dich, wenn jemand Finnisch spricht oder es zumindest versteht?
Anne (Lacrimosa): Oh ja, das ist es immer noch.
„Ich mag klassische Komponisten wie Jean Sibelius“
FinnTouch: Kommen wir nun noch etwas zur Musik. Hast Du eine finnische Lieblingsband?
Anne (Lacrimosa): Klassische Komponisten wie Jean Sibelius, dann alle möglichen 80er-Jahre-Bands, die aber kaum jemand im Ausland je gehört hat, zum Beispiel Sir Elwoodin hiljaiset värit.
FinnTouch: Gibt es generell musikalische Vorbilder bei Dir?
Anne (Lacrimosa): Das ist ein weiter Mix aus vielem, also keine einzelnen.
FinnTouch: War es schwierig für Dich, bei Lacrimosa einzusteigen, da die meisten Texte ja auf Deutsch sind, oder konntest Du schon vorher Deutsch sprechen?
Anne (Lacrimosa): Ja, es war schwierig, da mein Schul-Deutsch nicht ausgereicht hat. Also habe ich es gelernt.
„Wir sind fleißig…“
FinnTouch: Gibt es in nächster Zeit von Lacrimosa neue Musik? Und wo können wir euch live erleben?
Anne (Lacrimosa): Ja, wir sind fleißig und irgendwann wird es wieder neues Material zu hören geben. Live-Konzerte sind im Moment leider nicht geplant.
FinnTouch: Vielen lieben Dank für das Interview!
Anne (Lacrimosa): Vielen Dank auch und allen Finnen, die das lesen, kaikkea hyvää.
Halte Dich über die Musik von Lacrimosa auf dem Laufenden über die offizielle Website, die Facebook-Seite oder den YouTube-Kanal der Band. Fotos: Katharina Pauli-Schulte, Lacrimosa.
Über die Autorin: Katharina Pauli-Schulte, PMO und Scrum Master aus Frankfurt am Main, kam mit Finnland durch ihre Mama, die sehr lapplandbegeistert ist, schon früh in Kontakt. Zu Weihnachten gab es immer Geschichten aus dem hohen Norden. Durch eine finnische Freundin verliebte sie sich immer mehr in das Land und reiste vor drei Jahren das erste Mal nach Finnland. Seitdem ist sie jedes Jahr mehrfach dort. Die Finnfiziertheit geht so weit, dass Büros und Wohnungen immer erst einmal mit finnischen Worten und Bildern dekoriert werden und es nur noch finnische Süßigkeiten im Büro gibt, bis auch alle anderen um sie herum angesteckt sind. Nebenbei reisen sie und ihr Freund Hans mit ihrem Kuschelrentier Juntti durch die Welt und lassen ihn auf einer eigenen Facebook-Seite über seine Reiseerfahrungen und andere Katastrophen erzählen. Katharina findest Du auch bei Facebook, Instagram und Twitter.
Ach, das ist ja cool!
Ich kenne die Band über das M’era Luna Festival, wusste tatsächlich auch nicht, dass die Sängerin aus Finnland kommt.
Super cooles Interview 🙂
Viele Grüße aus Singapur <3
Michelle
Hallo Michelle,
vielen Dank für Dein liebes Feedback! Tatsächlich war es doch einigen nicht bekannt, dass Anne Finnin ist. Gut, dass wir in dieser Hinsicht ein wenig Aufklärung betrieben haben! 🙂
GLG zurück ins ferne Singapur,
René