Danke Jürgen Domian – eine Hommage an den Nighttalker und Lapplandfan

1995 trat Finnland der Europäischen Union bei, Microsoft veröffentlichte sein nagelneues Betriebssystem Windows 95 und im Kölner Capitol ging die erste Folge der längst eingestellten Harald Schmidt Show live auf Sendung. Am 3. April des gleichen Jahres fiel in der Domstadt auch der Startschuss für ein bis heute einzigartiges Sendekonzept: Das 1LIVE Talkradio Domian, von und mit Jürgen Domian. Einzigartig war die Sendung nicht zuletzt deshalb, weil sie parallel sowohl im Radio als auch im WDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ich selbst war damals ein 13-Jähriger Teenager und entdeckte Domian schon wenig später rein zufällig beim nächtlichen Durchzappen der Kanäle.

21 Jahre Domian – ein Stück Radio- und Fernsehgeschichte

Direkt war ich fasziniert von diesem ungewöhnlichen Konzept, bei dem jeder, der gerne mit Jürgen Domian sprechen wollte, einfach im Studio anrufen konnte. Mit etwas Glück wurden die Anrufer durchgestellt und konnten sich dann mit dem Moderator über Lustiges, Skurriles, Abgründiges oder auch Trauriges live on air unterhalten. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 2016 schloss sich nun der Kreis. Nach mehr als 21 Jahren moderierte Domian seine allerletzte Sendung. Damit geht eine Ära zu Ende, der ich mit diesem sehr persönlichen Blogbeitrag huldigen möchte.

Weit mehr als nur der „Hackfleisch-Mann“

Die stets nachts von 1 bis 2 Uhr ausgestrahlte Sendung erlangte schon in den ersten Jahren ihres Bestehens schnell überregionale Bekanntheit. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Geschichte des „Hackfleisch-Manns“, welche in den Folgejahren unglaubliche Bekanntheit erlangte und bis heute vielen als allererstes einfällt, wenn das Thema Domian zur Sprache kommt. Doch es würde der Sendung nicht gerecht werden, reduzierte man sie einfach nur auf diesen bizarren Anrufer. Domian war für mich immer ein Querschnitt der Bevölkerung. Ein Forum, in dem die unterschiedlichsten Meinungen eine Plattform bekamen. Eine Sendung, in der Jürgen Domian durchaus offensiv seine persönliche Meinung vertrat, aber auch stets für kontroverse Positionen offen war. Gewissermaßen ein Stück Basisdemokratie und ein Lichtblick in Zeiten zunehmender Denkverbote.

Domian als immerwährende Konstante

Ich erinnere mich an viele spannende, lustige, aber auch traurige Anrufe. Manchmal fand ich die Anrufer ehrlich gesagt auch ziemlich anstrengend oder langweilig und meine Gedanken schweiften ab. Doch schon im nächsten Moment konnte wieder eine spannende Story kommen, die mich regelrecht elektrisierte. Bei Domian riefen sie alle an – von der Hure über den Trucker und den Manager bis hin zur Ordensschwester. Vor allem aber war Domian für mich stets so etwas wie eine immerwährende Konstante. Auch wenn ich mal ein paar Wochen seltener zuhörte – verspürte ich dann doch wieder den Drang einzuschalten, war die wohlbekannte Stimme in jeder Nacht von Montag bis Freitag zur bekannten Zeit zuverlässig zur Stelle. Als chronischer Nachtmensch konnte ich mit der doch eher ungewöhnlichen Sendezeit zum Glück recht gut leben.

Der Kult um die Hemden

Meist schaute ich die Sendung im Fernsehen – zumindest in den Anfangsjahren gab es an meinen Wohnorten in Hessen beziehungsweise Baden-Württemberg auch gar keine Möglichkeit, um das Radioprogramm von 1LIVE zu empfangen. Die Zeit der Livestreams kam erst deutlich später. Was beim Anschauen von Domian im Fernsehen schnell auffiel, waren die regelmäßig wechselnden, bunten Hemden des Moderators. Hier schuf Jürgen Domian – vermutlich ganz unbeabsichtigt – einen kleinen Kult, denn Jahre später sollte in den diversen Internetforen leidenschaftlich über die jeweilige Hemdenwahl des Nighttalkers diskutiert werden.

Auch erinnere ich mich noch an die kurze Trinkpause, die Jürgen Domian in den ersten Jahren der Sendung stets um kurz nach halb 2 einlegte und während der einige Takte Musik gespielt wurden. Diese Pause wurde irgendwann gestrichen. Auch die regelmäßige Postecke kam zuletzt nicht mehr wirklich regelmäßig vor. Doch so gab es über die Jahre immer mal wieder kleinere Veränderungen. Auch die Studiogestaltung wurde von Zeit zu Zeit modernisiert. Das Grundkonzept blieb jedoch bis zuletzt gleich: Eine Stunde Sendezeit, ein Moderator, jeder kann anrufen.

In Köln befindet sich nicht nur das 1LIVE-Sendestudio, sondern im Schatten des Doms hat auch Jürgen Domian seinen Lebensmittelpunkt.

In Köln befindet sich nicht nur das 1LIVE-Sendestudio, sondern im Schatten des Doms hat auch Jürgen Domian seinen Lebensmittelpunkt.

Freie Themennächte und themenspezifische Sendungen

Um ein möglichst buntes Themenspektrum zu bieten, war die überwiegende Mehrheit der Domian-Sendungen „freie Themennächte“. Ob nun gerade die geliebte Oma gestorben war, der Partner fremdging oder eine einzigartige Weltreise anstand – mit Domian konnte darüber live im Radio und Fernsehen geplaudert werden. Aber es gab – für gewöhnlich einmal in der Woche – auch themenspezifische Sendungen. Gerne plauderte Domian mit seinen Anrufern dabei beispielsweise über übersinnliche Phänomene oder extreme Neigungen. Manche Themennächte fand ich unglaublich spannend, aus anderen hätte man meiner Meinung nach auch wesentlich mehr herausholen können.

Großer Ärger über unnötige Fakes

Zu einem leidigen Thema entwickelten sich über die Jahre hinweg diverse Fake-Anrufer, die mit irgendwelchen erlogenen Geschichten die Redaktion und auch Domian hinters Licht führten, nur um am Ende des Gespräches mit irgendeiner dämlichen oder obszönen Bemerkung das Ganze aufzulösen und sich für einen Moment besonders cool oder lustig zu finden. Meiner Meinung nach eine völlig unverständliche Verhaltensweise, über die sich auch Domian stets besonders ärgerte. Schließlich nahmen solche Idioten ernsthaften Anrufern wertvolle Zeit weg und wer lässt sich schon gerne veralbern?

Der weiße Hirsch

Zum Markenzeichen von Domian wurde der weiße Hirsch, welcher vom Moderator jede Nacht zuverlässig und gut sichtbar auf seinem Tisch positioniert wurde. Dieser Hirsch wurde in der allerletzten Sendewoche schließlich für einen guten Zweck versteigert. Für mehr als 40.000 Euro ging die Figur an einen Schweizer Fan, der sich in der vorletzten Sendung auch telefonisch zu Wort meldete. Zu Domians Erstaunen hatte sich der Fan dazu entschlossen, den Hirsch trotz des hohen Geldeinsatzes direkt wieder an den Moderator zurückzuschenken – denn zu diesem gehöre das Tier ganz einfach. Vor so einer selbstlosen Aktion kann man nur den Hut ziehen! Mit dem stolzen Betrag wird nun eine von Domians Herzensangelegenheiten, die Arbeit des Mildred Scheel Hauses für Palliativmedizin in Köln, unterstützt.

Domian und die Kranken und Verzweifelten

Es mag für viele eher merkwürdig erscheinen, dass jemand bei extremen persönlichen Problemen oder einer existentiellen Notlage bei einer Radio- und TV-Sendung anruft und seine Ängste und Sorgen vor dem versammelten Publikum ausbreitet. Darüber kann man sicherlich auch geteilter Meinung sein, aber Fakt ist, dass Jürgen Domian mit seiner Sendung über all die Jahre einen echten Rettungsanker für viele Kranke und Verzweifelte dargestellt hat. Mit seiner einfühlsamen und respektvollen Art verstand er es wie kein anderer, den Menschen Trost zu spenden und Hoffnung zu geben. Vorbildlich war auf jeden Fall auch die psychologische Betreuung im Hintergrund, die stets bereitstand und sich nach dem Gespräch mit Domian noch in Ruhe um die Anrufer kümmerte, sofern diese das denn wünschten.

Erinnerungen an einen Schwedenurlaub

Persönlich erinnere ich mich an einen Roadtrip durch Schweden mit guten Freunden vor einigen Jahren, der für mich immer untrennbar mit Domian verbunden bleiben wird. Nach langen und ereignisreichen Tagen entwickelten wir ein allabendliches Einschlafritual, zu dem neben einem gemütlichen Schlummertrunk auch das gemeinsame Hören heruntergeladener Domian-Folgen zum Einschlafen gehörte. Eine wirklich schöne Erinnerung, an die ich heute immer noch gerne zurückdenke. Später konnte ich auch meine heutige Frau Caro mit dem Domian-Fieber anstecken und wir hörten die Sendungen auf vielen Autofahrten oder auch zu Hause.

Domian, der Skandinavienliebhaber

Auch wenn Domian sich nie scheute, in den Gesprächen mit den Anrufern seine persönliche Meinung zu den unterschiedlichsten Themen kund zu tun – was sein Privatleben angeht, präsentierte er sich in der Regel eher zurückhaltend. Zwar konnte der geneigte Fan beispielsweise in seinen neben der Moderationstätigkeit veröffentlichten Büchern einiges über den Menschen Domian erfahren. On air war dies jedoch eher weniger Thema. Bekannt ist jedoch, dass Domian ein riesengroßer Skandinavienliebhaber ist. Während der großzügig bemessenen Sommerpause der Sendung reiste er immer wieder nach Nordfinnland und generell Lappland, um hier inmitten der unendlichen Weite und ursprünglichen Natur zur Ruhe zu kommen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Solltest Du also irgendwann mal durch das wunderschöne Lappland wandern, so kann es durchaus passieren, dass Dir auf einmal Jürgen Domian gegenübersteht.

Jürgen Domian ist ein riesengroßer Skandinavien- und Lapplandfan.

Jürgen Domian ist ein riesengroßer Skandinavien- und Lapplandfan.

Ein Treffen in Essen

Nach all den Jahren, in denen ich die Sendung mitverfolgt hatte, fieberte ich dem 2. November 2015 geradezu entgegen. In der Lichtburg Essen sollten Caro und ich dem Nighttalker im Rahmen der exklusiven Premiere seines Films „Interview mit dem Tod“ erstmals persönlich begegnen. Die Schlange nach der Aufführung war schier endlos lang, aber Jürgen Domian nahm sich dennoch für jeden Fan die nötige Zeit, um nicht nur Autogramme zu schreiben, sondern auch gemeinsame Fotos zu machen und kurz mit den Leuten zu plaudern. So entstand unsere gemeinsame Aufnahme und wir wechselten auch ein paar Worte über Finnland. Dabei bestätigte sich mein Eindruck, den ich aus den unzähligen Sendungen gewonnen hatte: Jürgen Domian ist ein sehr aufmerksamer, empathischer und respektvoller Mensch, den ich ehrlich bewundere – auch wenn ich nicht in allen Dingen immer mit seiner Meinung konform gehe. Völlig zu Recht bekam er Anfang Dezember 2016 den Sonderpreis der WDR 1LIVE Krone überreicht.

Niemals geht man so ganz…

Jetzt ist es also wirklich vorbei mit den langen Talknächten. Wenn ich zukünftig um 1 Uhr nachts das WDR Fernsehen oder den 1LIVE Livestream anschalten werde, wird nicht mehr die vertraute Stimme von Domian zu hören sein. Einer der letzten Bildschirmhelden meiner Jugend geht – nach Derrick oder Detektiv Matula von „Ein Fall für zwei“. Doch im Gegensatz zu den fiktiven Charakteren wird uns der Mensch Domian zumindest erhalten bleiben. Anfang des Jahres tourt er mit 1LIVE unter dem Motto „Domian redet“ quer durch Nordrhein-Westfalen. In welcher Form er nochmal im TV zu sehen sein wird, bleibt abzuwarten. Mit dem Nighttalk schließt sich so oder so ein Kapitel Radio- und TV-Geschichte, das unvergessen bleiben wird. Danke Jürgen Domian für all die kurzweiligen, amüsanten und auch nachdenklichen Momente, die Du uns beschert hast. Ich hatte bei der Abschiedssendung schon etwas feuchte Augen und werde die Erinnerungen an die Sendung immer in Ehren halten.

Wenn Du die Sendung ebenfalls jetzt schon vermisst, solltest Du unbedingt einmal auf domianarchiv.de vorbeischauen. Die Fanseite bietet Dir ein nahezu unerschöpfliches Repertoire an alten Domian-Folgen zum runterladen und anhören. Auch auf der offiziellen Domian-Website von 1LIVE gibt es einige interessante Infos.

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2 Comments

  1. 1

    Sehr schöne Huldigung an Jürgen Domian, die ich gerade im Bus nach Rovaniemi gelesen habe. Nach einer phantastischen Woche in Lappland geht es heute in den Süden, genauer nach Lahti. Ich bin zum ersten mal in Finnland und total begeistert! Domian ist übrigens auch beim mir immer mit dabei und wird jeden Abend zum Einschlafen gehört. Mehr über meine Reise gibt es in meinem Blog unter winterrail.de. Viele Grüße, Sebastian

    • 2

      Hi Sebastian,
      vielen Dank für das positive Feedback! Domian- und Skandinavien-Fans sind doch die Besten 🙂 Schön, dass es Dir in Finnland auch so gut gefällt. Ist noch gar nicht so lange her, dass wir selbst in Rovaniemi herumgelaufen sind. Dann mal noch viel Spaß in Lahti – vermutlich bei der Nordischen Ski-WM!
      LG,
      René

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